Dr. Blumenberg im Dialog Erziehungshilfe 2-2018

Buchbesprechung: Reinhold Gravelmann: Berufliche Integration junger Flüchtlinge – Praxishilfe für die soziale Arbeit. München, 2018

 

 

 

Die Lebenssituation junger Flüchtlinge beschreibt Gravelmann einleitend sehr schön mit einem Sprachbild von Berthold Brecht , die Mühen der Gebirge lägen hinter ihnen, vor ihnen lägen die Mühen der Ebenen, nach dem Krisenmodus der Flucht stehe nun die Bewährungsprobe des deutschen Alltags an, der den allermeisten jungen Flüchtlingen völlig fremd sei (Kap. 1).

 

Zu diesen Mühen der Ebene gehöre auch, dass der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nicht alles regle und „brutal selektiv“ sei; ohnehin sei hier eine Integration - wenn überhaupt -  nur in einem Langstreckenlauf zu erreichen (Kap 2)  

 

 

 

Nicht zu unterschätzen seien die Nachwirkungen der Flucht mit ihren Bedrohungen und etwaigen traumatisierenden Verlusten. So ist es auch für Fachkräfte  oft schwierig die Perspektive von jungen Geflüchteten einzunehmen, gerade, wenn diese aus völlig fremden Kulturen, auf der Flucht aus Lebensgefahr durch Krieg oder Hunger zu uns kommen. Diese Perspektive auf die individuelle Lebensgeschichte junger Flüchtlinge muss für Fachkräfte und Begleiter aber unbedingt nachvollzogen werden können, um deren Ausgangslagen zu verstehen und gemeinsam Wege aus der Not zu finden.

 

 

 

Im Kapitel drei spielt der Autor mit dem Leser ausgesprochen kreativ und einfühlend  durch, welche Probleme sich ihm selbst wohl stellen würden, wenn er Hals-über-Kopf unter Zurücklassung seiner Angehörigen seiner Freunde und seiner gesamten Habe aus Deutschland nach Syrien fliehen müsste.

 

 

 

Die Grundlagen des Asyl- und Ausländerrecht und der auf dieser Basis vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ermittelte Aufenthalts-, Duldungs- oder Abschiebestatus sowie die daraus folgenden Konsequenzen für den Arbeitsmarktzugang und die eingeschränkten Handlungsoptionen für Fachkräfte und Flüchtlinge werden von Gravelmann sehr realistisch behandelt und mit hilfreichen Empfehlungen – wie etwa die jungen Flüchtlinge bei Behördengängen zu begleiten - versehen (Kap. 4).

 

 

 

Die negativen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit werden von Gravelmann vor allem im Hinblick auf die Identitätsfindung junger Menschen behandelt, was bei jungen Flüchtlingen in Verbindung mit ihren sonstigen Entwurzelungserlebnissen und mit der schwindenden Hoffnung in der deutschen Arbeitsgesellschaft bezahlte Beschäftigung zu finden, leicht eskaliert. Dieses Dilemma bezeichnet der Autor  mit einer Einschätzung des deutschen Bundestages  als gerechtigkeitspolitische Nagelprobe der Sozial- und Jugendpolitik für junge Menschen in prekären Lebenslagen in der Bundesrepublik. Von Fachkräften und allen Beteiligten sei die Jugendphase der jungen Flüchtlinge in einer sensiblen Begleitung und Ermutigung immer mitzudenken (Kap. 5).

 

 

 

So ist auch der deutsche Alltag nicht ohne Barrieren und Hindernisse gerade für junge Flüchtlinge, die Gravelmann sehr differenziert aufnimmt und beschreibt. Da ist zunächst mal die verwirrende Vielfalt unterschiedlicher rechtlicher Bedingungen wie Sozialrecht, Arbeitsrecht, Ausländerrecht, Jugendhilferecht und zum anderen die Vielfalt unterschiedlicher Organisationen in öffentlicher und freier Trägerschaft, denen professionelle und ehrenamtliche Kräfte zugeordnet sind, was von Gravelmann sehr differenziert und übersichtlich dargestellt wird (Kap. 6).

 

 

 

Über diese partielle Vielfalt der fachlichen Akteure den Überblick zu wahren, Anschlüsse und Übergänge zu sichern, ist nicht nur für Flüchtlinge schwer und das macht eine fachliche Begleitung junger Flüchtlinge bei ihrer beruflichen Integration und eine entsprechende Qualifikation der fachlichen Begleiter erforderlich, wie der Autor betont. Fachliche Begleiter und Helfer brauchen ein umfangreiches Wissen über den rechtlichen und organisatorischen Rahmen der beruflichen Integration und spezifische Haltungen etwa zum Perspektivwechsel / zur Kultursensibilität, sowie eigene Handlungsansätze, wie Empowermentstrategien im Umgang mit jungen Flüchtlingen.

 

 

 

Das Zusammenwirken sehr vieler Fachkräfte und ehrenamtlicher Helfer mit unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Aufgabenprofilen und unter unterschiedlichen nicht friktionsfreien rechtlichen Rahmenbedingungen im Spannungsfeld von Fördern und Sanktionieren, von Integration vs. Abschiebung macht eine Toleranz für widersprüchliche Beratungskontexte, eine offene Verständigung unter den beteiligten Fachkräften und eine ehrliche Transparenz über diese Gradwanderung gegenüber den jungen Flüchtlingen erforderlich, um das Mammutunterfangen der beruflichen Integration junger Flüchtlinge wirkungsvoll fördern zu können. 

 

 

 

Sehr ausführlich geht Gravelmann dann auf spezifische Herausforderungen ein, die sich in der kultursensiblen Beratung mit jungen Flüchtlingen etwa im beruflichen Beratungsprozess, zum  unterschiedlichen Rollenverständnis oder zu Genderfragen ergeben. Zum guten Ankommen in Deutschland gehöre eben viel mehr als allein die berufliche Qualifikation, wie der Autor an eindrucksvollen Beispielen belegt (Kap. 7).

 

 

 

Spezifische Auswirkungen der Fluchterfahrung auf die berufliche Integration in Deutschland werden von Gravelmann differenziert behandelt und gegenüber anderen Problemen, die eher mit dem Kontext Jugendalter zusammenhängen, abgegrenzt (Kap. 8). Hier werden u.a. Traumatisierungen als Folgen von Kriegs- oder Fluchterfahrungen, abweichende  Sozialisationserfahrungen und kulturelle Hintergründe wie z.B. selbstverständlicher Wunsch nach beruflicher Selbständigkeit, die Bedeutung des Spracherwerbs und berufsspezifische Sprachlernangebote, oder Diskriminierungen und auch Radikalisierungsgefahren als Belastungen für ein Ankommen in Deutschland angesprochen.

 

 

 

Grundsätzliches zur Berufsorientierung und zu den Ausbildungsanforderungen in Deutschland sowie entsprechende Informationsmöglichkeiten über Internet oder Printmedien sind in Kapitel neun zusammengestellt, um einen Abgleich mit individuellen Wünschen, Ausbildungsvoraussetzungen zu ermöglichen und so die Entwicklung realistischer Berufsvorstellungen zu fördern.

 

Konkrete Schritte in eine berufliche Tätigkeit stehen in Kap. 10 -12 im Mittelpunkt: Übergangsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt werden  von Praktika über duale Ausbildung bis zu Leiharbeit/Zeitarbeit mit ihren Chancen und Gefahren abgehandelt. Fragen zum Studium für Ausländer und wichtige konkrete Bausteine der Unterstützung bei Bewerbungen, Vorstellungsgesprächen und der Arbeitsaufnahme werden nachfolgend behandelt.

 

 

 

Abschließend weist Gravelmann auf die beiderseitigen Bemühungen und Anstrengungen hin, die langfristig von der Gesellschaft und den jungen Geflüchteten übernommen werden müssen, um eine berufliche Integration erfolgreich zu bewältigen (Kap. 13).

 

 

 

Sowohl zum Faktenwissen als auch zu Haltungen und Handlungsansätzen bietet das Buch von Gravelmann eine sehr gut lesbare, übersichtlich gegliederte, und hervorragende alltagstaugliche Grundlage für Fachkräfte, Mentoren, Paten oder ehrenamtlich Mitwirkende.

 

 

 

Dem Autor gelingt es mit seinen sehr gut fundierten grundsätzlichen und alltagspraktischen Hinweisen und vielen lebensnahen Beispielen den komplizierten Weg der Begleitung junger Flüchtlinge bei ihrer beruflichen Integration zu erhellen und für Fachkräfte gangbar zu machen. Das umfangreiche und differenzierte Literaturverzeichnis ist ausgesprochen hilfreich, um  weiterführende Quellen zu erschließen und durch ein hilfreiches Sachregister eignet sich das Buch neben der durchgängigen Lektüre auch  als ein wertvolles Nachschlagewerk.

 

 

 

Dr. Jürgen Blumenberg

 

Don Bosco Jugendpastoraldienst

GRAVELMANN, REINHOLD Berufliche Integration junger Flüchtlinge, Praxishilfe für die Soziale Arbeit München: Ernst Reinhardt, 2018, 226 S., 24,90 €, ISBN 978-3-497-02769-9

 

 

 

 

Was wird aus jungen Flüchtlingen, die sich in Deutschland eine berufliche Existenz aufzubauen versu-chen? Welche Hilfestellungen sind dabei zu leisten?

 

Diesen Fragen nimmt sich Reinhold Gravelmann in seinem Band „Berufliche Integration junger Flüchtlinge“ an, das als Praxishilfe für die Soziale Arbeit konzipiert ist. Wissen für die Praxis ist dabei das zentrale Anliegen. Aus den Zeilen spricht die langjährige Erfahrung des Autors in der Begleitung von Flüchtlingen. So gelingt es ihm, die Leser auf empathische und informierte Art und Weise mit der Situation und Perspektive der jungen Immigranten vertraut zu machen, sie „die Perspektive der Ge-flüchteten einnehmen“ (Kapitel 2) zu lassen.

 

Die einzelnen Kapitel behandeln komprimiert und kenntnisreich wichtige Themenbereiche für die Arbeit mit Geflüchteten, von rechtlichen Fragen bis zu Arbeitsorganisation und Begleitung. Darin eingeflochten findet sich immer wieder der Rückbezug auf die Frage, was die einzelnen Bereiche für junge Geflüchtete persönlich bedeuten.

 

Überlegungen zu Chancen und Begrenzungen des Arbeitsmarkts bilden den hinführenden Teil. Dann wird der Leser in Grundlagen von Asyl- und Ausländerrecht eingeführt. Wie entscheidend die Arbeit als Identifikationsfaktor für junge Flüchtlinge ist, wird in einem eigenen Kapitel deutlich gemacht. Das Thema „Akteure der beruflichen Integration und ihre Leistungen“ bildet dem Umfang nach den Hauptteil des Buches und zeigt von den Arbeitsagenturen und Jobcentern bis zu Paten die Breite des Spektrums an Akteuren mit ihren jeweiligen Eigenheiten auf. Neben Fragen der Beratung und berufli-cher Integration werden eigens die Spezifika der beruflichen Integration gerade junger Menschen the-matisiert Unterschiedliche Möglichkeiten der Integration in den Arbeitsmarkt, wie Praktika, duale Ausbildung etc., werden vorgestellt und erörtert. Zum Ende werden Unterstützungshilfen entwickelt. Sehr hilfreich sind die jedem Kapitel beigefügten Tipps für Fachkräfte.

 

Nicht nur für Menschen, die im Bereich der Flüchtlingsarbeit tätig sind, sondern für alle, die mit jun-gen geflüchteten Menschen zu tun haben und sich für ihre Situation interessieren, ist das übersichtlich und fundiert geschriebene Kompendium ein echter Gewinn

 

<K. Karl> Kontaktadresse: www.reinhardt-verlag.de

 

https://jpi.donbosco.de/content/download/28377/177934/version/1/file/LD2.18.pdf

 

Jugendpastoral LD 2/2018 Monografien und Sammelbände

 

 

 

 


Buchtipp: Berufliche Integration junger Flüchtlinge – Praxishilfe für die Soziale Arbeit

 

11. April 2018 von Antje Thiel Willkommensteam Elmshorn

 

Im Reinhardt Verlag ist kürzlich ein Taschenbuch erschienen, das Fachleuten und Ehrenamtlichen helfen soll, sich im Dschungel von Paragraphen, Ansprechpartnern, Handels- und Handwerkskammern, Arbeitsagentur, Asyl-, Ausländer und Arbeitsrecht zurechtzufinden – damit das gemeinsame Ziel, junge Flüchtlinge beruflich zu integrieren, schneller und leichter gelingt.

 

Das Buch vermittelt rechtliche Hintergründe (Arbeits-, Asyl- und Ausländerrecht) ebenso wie psychologisches Wissen (Arbeit als Identitätsfaktor, kultursensible Kommunikation, Umgang mit Jugendlichen, Traumatisierung). Es bietet zudem einen breiten Überblick über die vielen Behörden und Institutionen, die in dem Feld „berufliche Integration von Flüchtlingen“ mitmischen – angefangen von der Agentur für Arbeit über Wirtschaftsverbände und -Netzwerke, Kinder- und Jugendhilfe sowie Kommunen bis hin zu den Bildungsträgern. Auch Angebote wie der Bundesfreiwilligendienst, Mentoring-Programme und Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM) werden behandelt.

Fazit: Ein kompakter, fundierter Überblick, der zudem mit vielen Praxistipps und Fallbeispielen abgerundet wird.